1985
USA for Africa

We Are the World

WE ARE THE WORLD war ein gemeinsames Song-Projekt von 45 der erfolgreichsten Pop-Stars der Welt, die angesichts der seit 1983 andauernden verheerenden Hungerkatastrophe in Äthiopien auf diese Weise Geld zur Bekämpfung des Hungers aufbringen wollten.

I. Entstehungsgeschichte

Als 1984 die Bilder von der Hungerkatastrophe in Äthiopien durch die Medien gingen und von über eine Million Hungertoten die Rede war, darunter eine große Zahl von Kindern, kam es überall auf der Welt zu einer großen Welle der Anteilnahme. In den USA war es Harry Belafonte (*1927), der eine dem britischen Band Aid-Projekt vergleichbare Charity-Aktion für die Hungeropfer in Äthiopien initiierte, deren Realisierung in den Händen des Musikmanagers und professionellen Fund-Raisers Ken Kragen (*1946) lag. Belafonte hatte im Dezember 1984 Kragen angesprochen und für das Projekt geworben. Dieser gewann mit Lionel Ritchie (*1949) einen seiner Klienten sowie Michael Jackson (1958-2009) und dessen Produzenten Quincy Jones (*1933) für die Idee. Gemeinsam gelang es ihnen innerhalb von nur 28 Tagen, die Elite der internationalen Popmusik als United Support of Artists for Africa (USA for Africa) zu einer gemeinsamen Aufnahme-Session am 28. Januar 1985 in den A&M Recording Studios in Hollywood zu versammeln. Geschrieben hatten den Song Lionel Ritchie und Michael Jackson, nachdem sich der ursprünglich beteiligte Soul-Star Stevie Wonder (*1950) aus Zeitgründen aus dem Songwriting hatte zurückziehen müssen. Zwei Wochen vor dem eigentlichen Produktionstermin hatten Michael Jackson und Lionel Ritchie im Lion Share Recording Studio des Country-Stars Kenny Rodgers (*1938) eine Vokalversion des Songs aufgenommen, die den anderen beteiligten Künstlern als Vorlage diente. Da Michael Jackson sich außerstande sah, mit anderen gemeinsam in einem Studio zu stehen, nahm er seinen Part gesondert auf. Die Aufnahme, obwohl als Einspiel-Material für die Produktion entstanden und dafür auch verwendet, wurde 2004 als Solo-Version des Songs separat veröffentlicht. WE ARE THE WORLD erschien am 7. März 1985 parallel im 7-inch- und im 12-inch-Format als Single-Auskopplung aus dem gleichnamigen Album, das den Song mit einer Reihe mehr oder weniger passender Titel verschiedener an dem Projekt beteiligte Künstler kombinierte. Die Produktion des Songs wurde für ein “Making- of”-Video aufgezeichnet, das ebenso wie das Musikvideo zum Song von Howard G. Malley (*1951), Craig B. Golin (*1952) und April Lee Grebb (*1957) produziert worden ist.

II. Kontext

WE ARE THE WORLD stand in der unmittelbaren Nachfolge von Band Aid und dem Charity-Projekt “Do They Know It’s Christmas” (1984), von dem sich Harry Belafonte als Initiator des Projekts hatte inspirieren lassen. Eingebettet war die Veröffentlichung in den USA in eine grundsätzliche öffentliche Debatte über die Rolle des Westens und dessen Führungsmacht angesichts einer derart verheerenden Hungersnot auf dem afrikanischen Kontinent. Dabei ging es sowohl um das durch nichts zu legitimierende Missverhältnis von Reichtum und Überfluss auf der einen, Armut und Not auf der anderen Seite, als auch um die Frage der Mitverantwortung des Westens an den sozialen Missständen in Afrika. Insbesondere der Internationale Währungsfonds geriet in die Kritik, weil er im Interesse der Weltbank und einiger westlicher Großbanken die Tilgung von Krediten ohne Rücksicht auf die sozialen Folgen einforderte oder die Kreditvergabe an Bedingungen knüpfte, die in ihrer Konsequenz zum Auslöser solcher sozialen Katastrophen wurden. Dass Charity-Initiativen wie Band Aid, Live Aid oder eben USA for Africa weltweit auf eine derart breite Resonanz stießen, hatte nicht zuletzt mit der Tatsache zu tun, dass an der Hungerkatastrophe in Äthiopien sichtbar und erfahrbar wurde, wie sehr jeder Einzelne in den reichen Ländern des Westens mit den Strukturen verbunden war, die in Afrika solche Katastrophen auslösten. Damit kam ein Sinn für Mitverantwortung und Solidarität auf, den die Charity-Initiativen auffingen und in die Beschaffung von Hilfsgütern umleiteten.

III. Analyse

Der in einem langsamen Tempo (72 bpm) gehaltene Song folgt im Aufbau einer modifizierten Strophenliedform. Von den vier Strophen sind drei musikalisch identisch (“There comes a time…”; “We can’t go on…”; “Send them your heart…”), während die vierte (“When you’re down and out …”), eine kontrastierend abgesetzte Modifikation des melodischen Materials vornimmt. Der Refrain (“We are the world …”) folgt erstmals nach der zweiten Strophe, erneut nach der dritten und nach der vierten Strophe wird er zehnmal wiederholt, die letzte Wiederholung als Outro im Fadeout. Das führt zu einer Zweiteilung des Songs, der damit dem folgenden Grundgerüst folgt: Intro-A-A-B-A-B-C-B-B-B-B-B-B-B-B-B-(B). Die synkopenreiche Melodik der Strophen ist im Tonumfang recht eng geführt und erhebt sich über einem E-Piano dominierten Keyboardteppich, der von Bass und Schlagzeug gestützt ist. In einem deutlichen Kontrast dazu steht der hymnenartige Refrain des Songs, der sich bei jeder Wiederholung durch Massierung der Stimmen steigert, beginnend mit einem Solo von Michael Jackson, das in ein Duett mit Diana Ross übergeht. Nach der dritten Strophe sind es die in rascher Folge alternierenden Stimmen Bruce Springsteens, Kenny Loggins’, Steve Perrys und Daryl Halls, während im zweiten Teil des Songs der zehnmal wiederholte Refrain durch das chorische Unisono aller Mitwirkenden geprägt ist, unterbrochen durch Solo- (Bob Dylan, Ray Charles, Kenny Loggins) und Duett-Passagen (Stevie Wonder, Bruce Springsteen), die jeder Wiederholung musikalisch einen ganz eigenen Charakter geben. Auch die Strophen sind, dem Vorbild “Do They Know It’s Christmas” folgend, mit jeder ihrer Textzeilen jeweils einer anderen Stimmen zugeordnet und teilen sich, beginnend mit Lionel Ritchie, auf zwanzig verschiedene Sänger/Sängerinnen auf. Das ständig wechselnde Timbre der Singstimmen, die unterschiedliche Intensität des vokalen Ausdrucks, die unterschiedliche Phrasierung durch jeden Interpreten/jede Interpretin und die stimmliche Präsenz jedes Einzelnen lassen die vielen Repetitionen in einem immer wieder anderen Klangdesign erscheinen. Obwohl den vier Strophen, von denen drei sich nur im Text unterscheiden, ein insgesamt zwölfmal wiederholter Refrain gegenüber steht, ergibt sich allein durch die klangliche Differenzierung auf der Vokalebene ein spannungsvolles musikalisches Geschehen.

IV. Rezeption

WE ARE THE WORLD erwies sich ebenso wie sein britisches Vorbild, “Do They Know It’s Christmas” (1984), als einer der kommerziell erfolgreichsten und sich am schnellsten verkaufenden Songs aller Zeiten. Die erste Million war in einer Woche abgesetzt, die Single erreichte im April 1985 Platz 1 der US Single Charts und gehört seither zu den am meisten verkauften Singles in den USA, die erste, die mit vier Platin-Zertifikaten (1 Mill. verkaufte Einheiten) von der Recording Industry Association of America eine Mehrfachauszeichnung erhielt. Die Spitzenposition der Single-Charts erreichte die Platte auf nahezu allen wichtigen Tonträgermärkten der Welt (in Deutschland Platz 2). Ein Remake des Songs, ausgelöst durch das verheerende Erdbeben in Haiti im Januar 2010, wurde am 1. Februar 2010 mit über achtzig internationalen Superstars aufgenommen, produziert erneut von Quincy Jones in Kooperation mit Lionel Ritchie und als “We Are the World 25 for Haiti” zusammen mit WE ARE THE WORLD in verschiedenen Mixen sowohl als Single als auch als Download veröffentlicht. Die Veröffentlichung lag in den Händen der beteiligten Produzenten und erfolgte ohne Bindung an ein Label. Auch diese Version erwies sich vor allem durch die Downloads als sehr erfolgreich und erreichte Platz 2 der US Hot Hundred-Charts, auch wenn die Reaktion der Musikkritiker angesichts einer Reihe musikalischer Mängel und des exzessiven Gebrauchs von Auto-Tune eine einhellig negative war. Doch auch die 25 Jahre ältere Original-Version stieß bei ihrer Veröffentlichung auf ein durchaus geteiltes Echo. Ähnlich wie “Do They Know It’s Christmas” löste die Single eine grundlegende Debatte über die Legitimität solcher popmusikalischen Charity-Aktionen aus. Allerdings hatte sie in diesem Fall einen etwas anderen Akzent als die Diskussion um Band Aid und Live Aid, die im Kern darauf zielte, dass die beteiligten Künstler und Plattenfirmen, ob bewusst oder nicht, einen zwar immateriellen aber durchaus geldwerten Vorteil aus derartigen Aktionen zogen. Der renommierte US-Rockkritiker Greil Marcus hatte seine Kritik an WE ARE THE WORLD mit dem Argument begründet, dass der Song in seiner musikalischen Gestaltung wie eine Pepsi-Werbung klinge und ästhetisch damit inmitten des gesellschaftlichen Systems verankert ist, das die Ursache für das Problem des Hungers in Afrika darstellt. Daran schließt die grundsätzliche Frage an, ob Musik wirklich nur ein neutrales Transportmittel für das gesellschaftspolitische und karitative Anliegen ist oder nicht vielleicht doch mit der ihrer Klanggestalt eigenen Botschaft die intendierte Absicht konterkariert. Erwartungsgemäß erbrachte die Diskussion, dass es auf diese Frage weder eine pauschale noch eine einfache Antwort gibt.

Ungeachtet dessen erhielt WE ARE THE WORLD eine ganze Reihe von Auszeichnungen: 1985 den American Music Award als Song of the Year; 1986 vier Grammy Awards, in den Kategorien Record of the Year, Song of the Year, Best Pop Performance by a Duo or Group with Vocal und Best Music Video, Short Form. Das Musikvideo erhielt zudem den MTV Video Music Award.

 

PETER WICKE


Credits

Komposition: Lionel Richie
Text: Michael Jackson,
Gesang: (in der Reihenfolge ihres Erscheinens): Lionel Richie, Stevie Wonder, Paul Simon, Kenny Rogers, James Ingram, Tina Turner, Billy Joel, Michael Jackson, Diana Ross, Dionne Warwick, Willie Nelson, Al Jarreau, Bruce Springsteen, Kenny Loggins, Steve Perry, Daryl Hall, Huey Lewis, Cyndi Lauper, Kim Carnes, Bob Dylan, Ray Charles
Background-Gesang: Dan Aykroyd, Harry Belafonte, Lindsey Buckingham, Mario Cipollina, Johnny Colla, Sheila E., Bob Geldof, Bill Gibson, Chris Hayes, Sean Hopper, Jackie Jackson, La Toya Jackson, Marlon Jackson, Randy Jackson, Tito Jackson, Waylon Jennings, Bette Midler, John Oates, Jeffrey Osborne, Anita Pointer, June Pointer, Ruth Pointer, Smokey Robinson
Synthesizer: David Paich
Synthesizer-Programmierung: Michael Boddicker
Percussion: Paulinho da Costa
Bass: Louis Johnson
Keyboards: Michael Omartian, Greg Phillinganes
Schlagzeug: John Robinson
Toningenieure: Humberto Gatica, John Gues
Mastering: Stephen Marcussen
Produktion: Quincy Jones, Michael Omartian, Tom Bahler (Associate Producer)

Recordings

  • USA for Africa. “We Are The World”, We Are The World, 1985, CBS Records, A 6112, UK ( Vinyl7″/Single).
  • USA for Africa. “We Are The World”, We Are The World, 1985, Columbia Records, US2-05179, US (Vinyl 12″/Promo/Single).
  • USA for Africa. “We Are The World”, We Are The World, 1985, CBS/Sony, 12AP 3021, Japan (Vinyl 12″/Maxi/Single).
  • USA for Africa. “We Are The World”, USA for Africa, 1985, CBS/Sony, 28AP 3020, Japan (Vinyl 12″/LP).
  • Michael Jackson. “We Are The World”, We Are The World, 2004, Epic Records, MDCH80029, Japan (CD/Promo/Single).
  • USA fpr Africa. We Are The World –The Video Event, 1985, RCA / Columbia Pictures Home Video (Musicvision), 60475, US (VHS/NTSC/Stereo).
  • Various. We Are The World – The Story Behind The Song. 20th Anniversary Special Edition. Director: Trbovich, Tom. Writer:Gilmore, Mikal. Image Entertainment, 2005, US (Doppel-DVD/USA2636DVD).

Covers

  • Artists For Haiti. “We Are The World”, We Are The World 25 For Haiti, 2010, Not On Label, US (Vinyl12″/Promo/AAC File/MPEG-4 Video).

References

  • Rijven, Stan/Marcus, Greil/Straw, Will: Rock for Ethiopia: Papers from the Third International Conference on Popular Music Studies. Montreal: 07/1985, Montreal: IASPM 1986.
  • Street, John: Rebel Rock. The Politics of Popular Music. Oxford: Basil Blackwell 1986.
  • Garofalo, Reebee: Understanding Mega-Events. If We Are the World, Then How Do We Change It?. ‘Rockin’ the Boat. Mass Music & Mass Movement. Ed. by Reebee Garofalo. Boston: South End Press 1992, 15-36.
  • Breskin, David: We Are the World. The Story Behind the Song. Hollywood: Image Entertainment, Inc. 2004.

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “We Are the World (USA for Africa)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/wearetheworldusaforafrica, 13/2013 [revised 04/2014].

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