1950
Patti Page

Tennessee Waltz

TENNESSEE WALTZ war in der Fassung mit Patti Page einer der erfolgreichsten Songs der Vor-Rock’n’Roll-Ära und gehörte zu den ersten, die ihren Erfolg maßgeblich den um die Wende zu den 1950er Jahren immer massiver in Erscheinung tretenden Teenagern als Plattenkäufern verdankten.

I. Entstehungsgeschichte

TENNESSEE WALTZ entstand 1946 und ist ein Song des Country-Sängers Redd Stewart (1923-2003) und der Country-Legende Pee Wee King (1914-2000), die zu den profiliertesten und erfolgreichsten Songschreibern in den USA gehörten. Unterwegs zu einem Auftritt in Nashvilles Grand Ole Opry-Show improvisierten sie den Song gleichsam “aus dem Stand” heraus, nachdem sie Bill Monroes (1911-1996) KENTUCKY WALTZ (1946) im Radio gehört hatten, der mit der Verbindung von Country Music und Walzerrhythmus als Vorbild diente. Die Melodie lehnte sich an die Musik an, mit der die Band von Pee Wee King ihre Auftritte damals eröffnete. Sie präsentierten ihren Spontaneinfall dem Verleger Fred Rose (1897-1954), der nicht nur selbst ein erfolgreicher Songschreiber war, sondern gemeinsam mit dem Country-Sänger Roy Acuff (1903-1992) den Musikverlag Acuff-Rose Music betrieb. Dieser übernahm die Rechte und lizenzierte den Song im folgenden Jahrzehnt überaus erfolgreich an eine ganze Reihe von Plattenfirmen.

Die erste Aufnahme des TENNESSEE WALTZ erschien 1946 mit Lloyd Estel “Cowboy” Topas (1913-1963) und erreichte Platz 6 der Country Charts, damals noch Best Selling Folk Retail Records. Redd Stewart und Pee Wee King erhielten dagegen erst 1947 Gelegenheit, ihren Song aufzunehmen. Die Produktion mit den Golden West Cowboys von Pee Wee King als Begleitband entstand am 2. Dezember 1947 im Chicagoer Studio der RCA und fand sich im Sommer 1948 auf dem dritten Platz der Country Charts wieder. Patti Page (Clara Ann Fowler, 1927-2013), die den Song schließlich zu einem Welthit machte, hatte ihn seit Anfang 1950 im Repertoire. Sie nahm ihn im November 1950 im New Yorker Studio der Mercury Records auf, wobei aus dem Country-Song eine von Jack Rael (1920-2008), Entdecker von Patti Page und Leiter der Begleitband, üppig arrangierte romantische Pop-Ballade wurde. Der Song erschien im November 1950 als B-Seite zu “Boogie Woogie Santa Claus”, einem Weihnachtssong von Leon René (1902-1982), und sollte lediglich die für das Weihnachtsgeschäft gedachte Platte komplettieren. Es stellte sich jedoch schnell heraus, dass die B-Seite die erfolgreichere war. Bei den folgenden Pressungen wanderte der TENNESSEE WALTZ auf die A-Seite und “Boogie Woogie Santa Claus” wurde durch “Long Long Ago”, einem von Jack Rael arrangierten Traditional aus dem 19. Jh. ersetzt.

II. Kontext

Patti Pages Aufnahme des TENNESSEE WALTZ gehörte zu jenen Songs, in denen sich um 1950 eine grundlegende Wende im Musikgeschäft ankündigte. Vorangegangen war dem 1949 die Einführung der 7″-Vinyl-Single-Schallplatte, die aufgrund ihres Preises auch für Teenager interessant war. Vor allem die in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre entstandenen Plattenfirmen wie die 1946 gegründete Mercury Records setzten voll und ganz auf dieses neue, auch in der Herstellung günstige Plattenformat und begannen, sich an dem Musikgeschmack Heranwachsender zu orientieren. Die Karriere von Patti Page war eine unmittelbare Folge davon. Ihren Plattenvertrag mit Mercury Records erhielt sie als Neunzehnjährige schon 1947, in den USA damit noch nicht einmal volljährig. Mit der Einführung des 45er-Single-Formats fand die Plattenfirma schließlich auch einen Weg, Heranwachsende als Zielgruppe direkt anzusprechen, denn für das werbefinanzierte kommerzielle Radio waren sie damals noch nicht interessant. Die Single-Schallplatte erwies sich mit ihrem 7″-Durchmesser auch als ein ideales Medium für die Musikautomaten, die auch in Cafés und Milchbars aufgestellten waren, wo sie die Teenager direkt erreichten. Im Unterschied zu den großen Firmen benutzte Mercury Records als eine der ersten deshalb nicht das Radio, sondern wählte den Weg über die Musicbox, um ihre Produkte zu vermarkten. Mercury wurde so zum Pionier für eine Entwicklung, die schon bald die populäre Musik tiefgreifend verändern sollte. Ohne einen Jungstar wie Patti Page, die zwanzigjährig bereits Plattenmillionärin war, wäre auch die Karriere eines Elvis Presley kaum denkbar gewesen. Nicht zuletzt ihrer Aufnahme des TENNESSEE WALTZ war es zu danken, dass das Potenzial von Heranwachsenden auf dem Musikmarkt sowohl als Käufer als auch als Talent-Reservoir sichtbar wurde.

III. Analyse

TENNESSEE WALTZ ist dem klassischen Thema des Pop-Songs, einer verlorenen Liebe, gewidmet. Obwohl als Country-Song entstanden, folgt die ursprüngliche Version von Redd Stewart und Pee Wee King im Aufbau dem 32taktigen AABA-Schema des traditionellen Pop-Songs. Das war ungewöhnlich, denn die Country Music, die mit ihrem Repertoire in der Volksmusik verankert ist, basierte eigentlich auf der zwei- oder dreiteiligen Strophenliedform. Solche Synthesen von Elementen aus unterschiedlichen Musikbereichen kamen in den USA erst nach dem zweiten Weltkrieg auf.

Jede der beiden 32taktigen Strophen des Songs besteht aus vier Segmenten, wobei das dritte (b) sowohl harmonisch wie melodisch von den anderen drei (a) abgesetzt ist. Auch der Text wechselt hier aus der Erzählperspektive in den Modus der direkten Ansprache (“Only you know how much I have lost…”). Die zweiteilig aufgebauten Segmente entfalten die Melodie des Songs in je viertaktigen Phrasen, die wiederholt werden. Lediglich das dritte, kontrastierende Segment (b) mit dem emotionalen Höhepunkt der Strophe weicht hiervon ab. Es ist im Ambitus weiter angelegt und zieht den melodischen Bogen über die gesamten acht Take des Segments. Der Gesamtaufbau des Titels folgt wie die Strophen ebenfalls dem AABA-Schema, indem den beiden 32taktigen Strophen (A) noch eine Instrumentalstrophe vorangestellt ist. Als Bridge (B) steht zwischen den beiden Strophen noch einmal die Instrumentalversion einer halben Strophe, so dass sich in der Urfassung folgender Gesamtaufbau ergibt:

A[instrumental: a(a-a)-a(a-a)-b(b-c)-a(a-a)] – A[vocal: a(a-a)-a(a-a)-b(b-c)-a(a-a)] -B(instrumental: a(a-a)-a(a-a)) – A(vokal: a(a-a)-a(a-a)-b(b-c)-a(a-a)].

Dieser verschachtelte, modulartige Aufbau war seit den 1920er Jahren ein typisches Kennzeichen der Pop-Songs in den USA, während die Country-Songs normalerweise sequenziell aufgebaut waren. Bemerkenswert ist auch die Rhythmus-Gestaltung des Originals. Dem synkopierten Grundrhythmus des Songs wird in der Begleitung fast durchgehend eine auf dem Grundschlag ablaufende Rhythmisierung unterlegt, womit aus dem schlichten Walzerrhythmus im ¾-Takt ein metrisch-rhythmisch spannungsvolles Geschehen wird.

Das Arrangement von Jack Rael für Patti Page weicht nicht nur in der Instrumentierung mit ‘suppigen’ Streichern, Klavier, Trompete und einem dezenten Schlagzeug statt Akkordeon, zweifacher Fiedel und Rhythmusgitarre signifikant von der Urfassung ab. Dominant ist die mit Dämpfer gespielte Trompete, die in den Instrumentalpassagen die Vokalstimme nachzeichnet. Der Song ist zudem auf drei Segmente verkürzt, so dass nach einem kurzen Intro sofort die erste Vokalstrophe einsetzt. Das ist mediengerechter als den Song mit einer Instrumentalstrophe beginnen zu lassen, was ein typisches Live-Feature jener Jahre war, denn es bereitete den Auftritt des Gesangsstars vor. Die Patti-Page-Version ist damit dreiteilig:

Intro-A(vokal: a-a-b-a) – B(instrumental: a-a) – A(vokal: a-a-b-a) – Outro.

Die Pedal-Steel-Gitarre, soundprägend in der Urfassung, ist im Arrangement zwar beibehalten, schrumpft aber zu einer lediglich noch kontrastierenden Klangfarbe in der Bridge, wo sie die Melodiestimme kurzzeitig übernimmt. Der punktierte Rhythmus in den Begleitstimmen ist nun fast durchgehend durch einen klassischen Walzerrhythmus mit Betonung auf der 1 ersetzt (lediglich in der instrumentalen Bridge klingt er an). Aus dem Country-Song im Pop-Format wird so ein Pop-Song mit Country-Reminiszenzen, aus dem flüssigen Erzählton des Originals ein langsamer, schmachtender Pop-Walzer, der auch im Text an den Gestus einer gefühligen Klage über eine beim Walzer verlorene Liebe angepasst ist. Auch alle nachfolgenden Cover-Versionen haben immer wieder leichte Textveränderungen vorgenommen, schon um die Erzählung dem Geschlecht des Vokalsolisten anzupassen. Neu in der von Mitch Miller (1911-2011) produzierten Aufnahme mit Patti Page war die zweistimmige Anlage des Vokalparts, wobei beide Stimmen mittels der damals aufkommenden Overdubbing-Technik von Patti Page gesungen wurden. Das war zwar eigentlich nur eine Notlösung, da das Geld für eine zweite Sängerin bzw. einen zweiten Sänger fehlte, dass eine Sängerin mit sich selbst im Duett singt ist damals aber als eine nie zuvor gehörte Attraktion empfunden worden. Mitch Miller gehörte zu den ersten Produzenten, die sich dieser Technik bedienten. Der TENNESSEE WALTZ ist nicht nur ein typisches Beispiel für die nach dem zweiten Weltkrieg in einem sich verändernden Kontext der Musikrezeption entstehenden hybriden Songformen, die Elemente unterschiedlicher Musikbereiche synthetisierten. Er war damit auch wie geschaffen für die stilistischen Adaptionen, die er in den folgenden Jahrzehnten erfuhr.

IV. Rezeption

TENNESSEE WALTZ war 30 Wochen in den Charts, 12 davon in den Top Ten, erreichte Platz 1 der US-Single-Charts am 30. Dezember 1950 und hielt sich dort bis März 1951. Die Platte wurde mehr als zehn Millionen Mal verkauft, damals nur übertroffen von dem Popsong-Klassiker “White Christmas”. Der Song war lange vor Elvis Presley, dem dieses Verdienst fälschlicherweise zugeschrieben worden ist, der erste, der sich sowohl in den Pop, als auch in den Country und den Rhyhtm & Blues-Charts platzieren konnte, was auf die Entstehung eines Marktes hindeutete, der sich diesen Kategorisierungen entzog – der Teenagermarkt. Die Aufnahme vom Patti Page wurde binnen Jahresfrist zu einem Welterfolg, der zahllose Nachproduktionen und Coverversionen nachzog. Es gab in den 1950er Jahren kaum ein Land, in dem der Song nicht mit einer nationalen Veröffentlichung bedacht wurde. Zu den ersten Cover-Versionen gehörte 1951 eine Version des kanadischen Geigers und Big-Band-Leaders Guy Lombardo (1902-1977) mit seinen Royal Canadians, gefolgt von einer Aufnahme mit dem Swing-Gitarristen und Multitrack-Virtuosen Les Paul (1915-2009) und seiner Frau Mary Ford (1928-1977). Sam Cooke veröffentlichte 1984 eine Rhythm & Blues-Fassung des Songs. Im gleichen Jahr erschien in Deutschland eine außerordentlich erfolgreiche deutschsprachige Version im Rock-Pop-Gewand mit der Londoner Sängerin Alma Cogan (1932-1966), arrangiert von dem britischen Bandleader und Musikproduzenten Charles Blackwell (*1940). Ende 1990er Jahre tauchte eine Version von Elvis Presley auf, die, zuhause aufgenommen, eigentlich nicht für die Veröffentlichung bestimmt war, dann aber doch zu einem Hit wurde. Der kanadische Singer/Songwriter Leonard Cohen (*1934) hat seit 2004 den Song mit einer eigenen Textfassung in seinem Live-Programm, die inzwischen ebenfalls auf Tonträger dokumentiert ist. Insgesamt sind bislang über 300 Cover-Versionen registriert, die letzte von Kelly Clarkson (*1982) 2013, eine Live-Version bei der Vergabe der Grammy Awards in Los Angeles. Der US-Staat Tennessee kürte den Song 1965 zu einem seiner offiziellen State Songs.

 

PETER WICKE


Credits

Komposition: Pee Wee King
Text: Redd Stewart
Gesang: Patti Page & Patti Page
Begleitung: Orchestra Jack Rael
Produzent: Jack Rael

Recordings

  • Cowboy Copas. Tennessee Waltz / How Much Do I Owe You, 1947, King Records, 696, US (10″-Schellack Single).
  • Pee Wee King And His Golden West Cowboys. Tennessee Waltz / You Belong To Me, 1948, RCA Victor, 48_0407, US (10″-Schellack Single).
  • Patti Page. The Tennessee Waltz / Boogie Woogie Santa Claus, 1950, Mercury Records, 5534-X45, US (Vinyl/7”-Single).

Covers

[Auswahl]

  • Guy Lombardo And His Royal Canadians. Tennessee Waltz / Get Out Those Old Records, 1951, Decca, 9-27336, US (Vinyl/7”-Single).
  • Les Paul. Tennessee Waltz / Little Rock Getaway, 1952, Capitol Records, F1316, US (Vinyl/7″-Single).
  • Sam Cooke. Good Times / Tennessee Waltz, 1964, RCA Victor, RCA 47-8368, US (Vinyl/7”-Single).
  • Alma Cogan. Tennessee-Waltz / Mein Schönster Traum, 1964, Columbia, 45-DW 6270, DE (Vinyl/7”-Single).
  • Elvis Presley. “Tennesse Waltz”, A Touch Of Platinum – A Life In Music. Volume 1: 1954-1966, 1998, RCA, 07863 67592-2, US (Doppel-CD).
  • Leonard Cohen. “Tennessee-Waltz (Live)”, Dear Heather, 2004, Columbia, CK 92891, CA (CD/Album).

References

  • Manheim, James M.: B-side Sentimentalizer: “Tennessee Waltz” in the History of Popular Music. In: The Musical Quarterly 76/3 (1992), 337-354.
  • Page, Patti: This is My Song. A Memoir. Bath (NH): Kathdan Books Bath 2009.
  • Wolfe, Charles K.: King, Pee Wee. In: The New Grove Dictionary of American Music. New York: Oxford University Press 1986, 634.

Links

  • https://www.youtube.com/watch?v=4XG6tlIqeYc [09.10.2014].
  • https://www.youtube.com/watch?v=Nes-5IFy9tM [09.10.2014].
  • https://www.youtube.com/watch?v=RO-8WnG9lQY [09.10.2014].
  • https://www.youtube.com/watch?v=MRJuyL8KFik [09.10.2014].

About the Author

Prof. Dr. Peter Wicke is a retired professor of musicology. From 1992 to 2016 he held the chair for "Theory and History of Popular Music" at the Humboldt University Berlin.
All contributions by Peter Wicke

Citation

Peter Wicke: “Tennessee Waltz ( Patti Page)”. In: Songlexikon. Encyclopedia of Songs. Ed. by Michael Fischer, Fernand Hörner and Christofer Jost, http://www.songlexikon.de/songs/tennesseewaltzpattipage, 12/2013 [revised 10/2014].

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